Ein Meisterinnenstück. Das Haus von Marlene Poelzig. 
Juni 2021

„Wer heute kommt, meint es ernst“ – So wahrheitsgetreu beginnen die Vorbereitungen zur Demonstration vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Poelzig und tatsächlich sind die Gegebenheiten nicht auf ein entspanntes Vorbeischlendern mit ein bisschen Aktivismus ausgelegt:  Es hat weit über dreißig Grad, die Sonne brennt geradezu vom Himmel und es ist bereits Freitagnachmittag, 16 Uhr am 18. Juni 2021, weit außerhalb des Stadtkerns im Berliner Westend.

Doch sie meinen es ernst, und zwar viele:

Trotz der Umstände versammeln sich über achtzig Menschen vor dem Haus, welches die Bildhauerin und Architektin Marlene Poelzig 1930 für das Leben und Arbeiten mit ihrem Mann Hans Poelzig und ihren gemeinsamen Kindern erbaute – ein herausragendes Beispiel der Architektur der Moderne. Das Anwesen in der Tannenbergallee 28 ist im Wesentlichen noch erhalten, doch vom 1945 für die konservative Nachkriegsarchitektur umgebauten Dach ist nur noch der Dachstuhl übrig. Das Dach wurde vom Eigentümer abgedeckt und seit über einem Jahr ist das ganze Haus dem Zerfall preisgegeben, um es im nächsten Schritt abzureißen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. 

Früher wies noch eine Plakette an der Mauer auf den Wohnort des berühmten Architekten Hans Poelzig hin – Marlenes Mann – kein Wort von ihr, die das Haus tatsächlich erbaute. Während er nur die Bauherrschaft übernahm und selbst nicht müde wurde, die Leistung seiner Frau zu betonen, schaffte es die Fachpresse auch 1980 noch immer nicht, eine angemessene Würdigung ihrer Arbeit zu publizieren, stattdessen wurde sie vom Foto ihrer eigenen Richtfestes abgeschnitten– repräsentativ dafür, dass Geschichtsschreibung nicht objektiv ist, sondern immer eine Selektion darstellt und hegemoniale Strukturen meist eine Rolle spielen.

Heute hängt nicht einmal mehr diese frühere Plakette am Haus, stattdessen wurde die Genehmigung zum Abriss längst erteilt – aber die Initiative Marlene Poelzig, bestehend aus Baukultur Expert*innen und Interessierten, hält dagegen. Bereits eine von fast 5.000 Bürger*innen unterschriebene Petition im letzten Jahr sollte den Abriss verhindern, heute lädt die Initiative zur Demonstration ein. Die Ziele: Das Haus erhalten, Marlene Poelzigs Lebenslauf und -werk stellvertretend für so viele in Vergessenheit geratene und ausradierte Architektinnen würdigen und idealerweise im Haus Poelzig einen neuen Ort des Austauschs mit einem Stipendienprogramm für Meisterinnen des Bauwesens aufbauen.

Die Architektin Ulrike Lauber und Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper erzählen zum Auftakt der Demonstration im Rahmen des Women in Architecture Festivals 2021 vom Leben Marlene Poelzigs und der Initiative, viele rot-weiße Demonstrationsplakate lehnen an den Mauern, die Zuschauer*innen stehen trotz der Hitze interessiert und engagiert um sie, die Galerie ato.black verteilt selbstgemachte Limonaden. 

Um „Nun die wahre Geschichte des Hauses zu erzählen“, enthüllten, als Höhepunkt des Nachmittags, Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung und die Künstlerin Hannah Cooke eine neue Plakette für das Haus. Gold auf Weiß, strahlt sie im Kontrast zur Ruine, findet ihren Platz an der ehemaligen Stelle der alten Plakette und weist nun auf das Leben und Werk von Marlene Poelzigs hin, erzählt aber auch vom gemeinsamen Leben und Arbeiten der Familie. 

Abschließend überrascht Sebastian Urbanke mit der theatralisch inszenierten Ballade vom Wasserrad von Bertolt Brecht und die Demonstration klingt ebenso sympathisch, ernsthaft und leicht zugleich aus, wie sie begann. Das Fazit: Frauen und ihre Leistungen werden in der Geschichtsschreibung häufig übergangen, ihre Werke nicht gewürdigt und auch heute sind wir noch weit von wirklicher Gleichberechtigung entfernt, auch in der Architektur – das alles muss sich ändern. Die Initiative Marlene Poelzig leistet einen wichtigen Beitrag dazu und es bleibt zu hoffen, dass sich der Plan zum Erhalt des Hauses als neues Zentrum für die Förderung von Frauen in der Baukunst durchsetzen lässt. Oder wie Brecht es mit seinem Wasserrad sagen würde:

Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
und das heitre Spiel, es unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.

 


(Danke an Nadja Fraenkel für die spannende Zusammenfassung)